zum Anschauen und Anhören

Lautlos
lässt Laub los.
Nach dem großen Leuchten
landet es im feuchten
Moos.
Den ganzen Wirbel macht der Wind.
Weil Blätter leicht zu haben sind,
lässt er sie nochmal fliegen –
und liegen.
Das Laub bleibt leise
dem Wald zur Speise.

Lauter Herbst
die letzten warmen Tage
verwegen rückt die Rasenmäherstaffel aus
im Blätterwirbel eines Rothirschs Klage
ach nein, ein Laubsauger geht röhrend um das Haus
vor lauter Herbst-
verliebtheit steigen Motorflieger
an allen Ampeln heulen heiße Öfen auf
ja, säß ich selbst auf einem, niemand säh mich wieder
doch wer jetzt ohne Krad ist, wartet lange mit dem Kauf
der Herbst spielt Laute
geht der Wind auch leise
Maishäcksler ziehen dröhnend ihre Kreise
und in den Stoppelfeldern sieht man Treiber laufen
vorlauter Herbst
dein Tinnitus macht mich noch taub
ab in die grüne Tonne mit dem Laub
möge das letzte Rascheln bald im Regenguss ersaufen

Sommer auf der Haut
heißgeschwollene Mückenstiche
die Zunge wund vom Kirschsteinspucken
und das Muster der Wiese in den Waden
Sommer auf der Haut
Regen im Ärmel
Gewitterfliegen in den Augenwinkeln
und die Borke der alten Eiche im Rücken
Sommer auf der Haut
das Moor zwischen den Zehen herausspülen
die Splitter aus den Fingern lutschen
und mit dem Nachtwind das Bett beziehen

Zikaden-Rapp
(Eigentlich ist das ein Song, vielleicht gelingt es mir bei Gelegenheit, eine Tonaufnahme zu produzieren.)
Die Kastagnetten der Zikaden zucken
im Ziga-ziga-zig-azurro-Rapp,
die Pinien raspeln Süßholz und sie spucken
uns Harz ins Haar und werfen Borke ab.
Durch blaue Blätterjalousien sieben
die Eukalyptusbäume heiße Luft
und während wir uns auf den Kieseln lieben,
beschatten sie uns nur mit ihrem Duft.
Die Wellen klatschen Beifall und sie kochen
in Felsenspalten alten Algensud,
paar Piniennadeln sind in See gestochen,
die dümpeln da, die warten auf die Flut.
Fünf Felsenkrabben kreuzen kühn gen Süden,
die Sonne feuert hundert Salven ab
und die Zikaden an, die nie ermüden
beim Ziga-ziga-zig-azurro-Rapp.

Jungfer im Grünen
Blauer Ritter
spornst mich an
wären wir ein
Herzgespann
du mein Liebstöckel
mein Spitzwegerich
ich dein Mädesüß, dein …
Rühr-mich-nicht-an!

Mückentanz
Wer könnte die Tänze
der Mücken entschlüsseln?
Dies rhythmische Zucken und Rücken
auf Ebenen schwindenden Lichts?
Es scheint so als gäben einander sie Stäbe
aus seidig elastischem Sonnengewebe
beim Staffelflugtanzen
im luftigen Nichts.
Sie weben und heben
wovon sie nur leben?
Kein Speisen, kein Trinken,
nur steigen und sinken.
Tät ich so lang hüpfen,
das Herz würd mir schlüpfen
aus sterbender Brust.
Die Mücken, so scheint es,
sie leben von Lust.

In unserem Hof wachsen ein großer Holunder und eine Wildrose ineinander. Im Frühsommer bilden sie einen blühenden, duftenden Baldachin. Nach einer Gewitternacht lag die ganze Blütenpracht am Boden. Was war passiert?
Rosunder Rosander
Rosunder, Rosander,
so wild umeinander,
Rosolden, Doldetten,
da fließt in den Betten
Rosecco halbtrocken
auf Blütenschneeflocken.
Holunse, Holause;
die Sommernachtssause!
Ein Schmaugen und Sirren,
ein Rindenverirren,
liebrosend verweht
das Holundachtsgebet.
Rosindel, die Lunder
gehn drüber und drunter,
verduften, betäuben
die, die sie bestäuben,
verschwenden, verzocken
die Blütenschneeflocken.
Holonner, Holüste,
wer immer sie küsste,
sie wanken entblättert,
die Kelche zerschmettert,
zum Welken gebracht
in rosunderner Nacht.

Fallobst
Wenn überreif und weich
gefall’nes Obst am Boden klebt,
dann sammelt sich sogleich
ein Völkchen, das von Fäulnis lebt.
Oft als Geschmeiß verschmäht
nah’n auf geheime Zeichen kühn
die Fliegen, Panzer goldengrün,
facettenübersäht.
Ein Summen und ein Tanz!
Von süßen Säften hingerissen
hat eine Wespe sich schon ganz
in eine Frucht hineingebissen.
Beim nächsten Menschentritt
stäch sie vielleicht noch einmal zu,
wonach sie unter einem Schuh
den schnellen Tod erlitt.
Nun aber nähert sich galant –
ich sah ihn sommers nicht einmal
so schwerelos und elegant,
so zart beflaggt – ein Admiral.
Und er kostet bis zum Schluss
des Jahres letzte Süßen.
Vom Volk zu meinen Füßen
erlern auch ich Genuss.

Inselschattenvillanelle
Von Sonnenauf- bis untergang
besteht die ganze Insel bloß
aus einem schmalen Dünenkamm.
Geformt von Wassers Schaffensdrang
mit steter Flut, die sie umfloss
von Sonnenauf- bis untergang.
Und folgst du dem Sirenensang,
du landest statt im heißen Schoß
auf einem schmalen Dünenkamm.
Der Ostwind ist dein Bremsvorgang.
Er legt die feinsten Knochen bloß
von Sonnenauf- bis untergang.
Und läufst du bis zum Blasentang,
die Insel, sie ist schattenlos
bis auf den schmalen Dünenkamm.
Den siehst du bald als Übungshang
und nur dein Scheitern ist grandios
von Sonnenauf- bis untergang
auf diesem schmalen Dünenkamm.
Dieses Gedicht entstand auf einer schmalen Vogelschutzinsel, auf der ich einmal im Rahmen eines Forschungsprojektes sein durfte. Dort gab es wirklich keinen Schatten. Die Gedichtform „Villanella“ ist ursprünglich ein für den Rundtanz komponiertes ländliches Lied. Die Strophen enden mit zwei abwechselnden Refrainzeilen, in der letzten Strophe werden beide nocheinmal wiederholt. In der englischen Lyrik tritt diese Form häufiger auf, z.B. bei Dylan Thomas.
